Wiener Neustadt

Bedeutung und historische Entwicklung

Wiener Neustadt wurde ab der Mitte der 1190er Jahre nach Initiative Leopolds V. unter dessen Nachfolger Herzog Leopold VI. planmäßig angelegt. Die Stadt lag an einem verkehrstechnisch günstigen Knotenpunkt eines Wegenetzes, in dem vor allem die „Venediger Straße“ über den Semmering, die Wien mit Italien verband, und die Straße über Ödenburg (Sopron) in den pannonischen Raum für den Fernhandel von Bedeutung waren. Im Grenzgebiet zwischen Österreich unter der Enns und der Steiermark gelegen, wechselte die Neustadt ihre Zugehörigkeit mehrmals zwischen beiden Herzogtümern. Bis 1245 bei der Steiermark, wurde sie im Frieden von Ofen in diesem Jahr zusammen mit der Grafschaft Pitten Österreich zugeschlagen. Im 14. Jahrhundert wurde sie wieder als steirisch angesehen, aber im Neuberger Teilungsvertrag des Jahres 1379 zusammen mit Neunkirchen ausdrücklich neben der Steiermark genannt, so dass hier die Sonderstellung des Gebietes zum Ausdruck kommt. Erst ab der Mitte des 16. Jahrhunderts sollte die Neustadt endgültig an Österreich unter der Enns fallen.

Wegen der ertragsarmen Böden der Ebene des Steinfeldes (südliches Wiener Becken) spielte die Landwirtschaft stets eine untergeordnete Rolle. Getreide, Holz oder Vieh mussten (teilweise) importiert werden. Prägend waren Handel, besonders mit Salz, Wein und Eisen, und Gewerbe, die von den Landesfürsten gefördert wurden. Bereits im Zuge der Stadtgründung wurde das Marktrecht von Neunkirchen auf die Neustadt übertragen. Ab 1239 wurden die Wiener Neustädter Bürger von der Maut in allen Ländern Herzog Friedrichs II. befreit, am 6. Dezember 1448 gewährte König Friedrich IV. (= Herzog Friedrich V., Kaiser Friedrich III., † 1493) der Stadt das Niederlagsrecht. Abgesehen von Wiener Kaufleuten hatten alle übrigen Händler, wenn sie das Gebiet des Landgerichts Wiener Neustadt betraten, ihre Waren in der Stadt feil zu bieten. 1411 waren im Vertrag von Pressburg zwischen König Sigismund von Ungarn und Herzog Albrecht V. alle „deutschen“ Weingartenbesitzer in Ungarn von den Grenzzöllen dieses Königreichs („Dreißigist“) ausgenommen worden, was besonders den Wiener Neustädtern zu gute kam. Ausdrücklich bestätigt wurde ihnen dieses Recht im Ödenburger Friedensvertrag von 1463 zwischen Kaiser Friedrich III. und König Matthias Corvinus von Ungarn, auch wenn es in den folgenden Jahrzehnten nicht immer durchgesetzt werden konnte. Tatsächlich war der Weinhandel im Mittelalter die wichtigste Einkommensquelle der Stadt. Neben Besitzungen in unmittelbarer Nähe und in der Gegend von Baden lagen die Weingärten der Neustädter vor allem in Ungarn (Wiesen, Sigles, Mattersdorf, Forchtenau, Rohrbach, Marz und Ödenburg, St. Margarethen, Groß- und Klein-Höflein, Müllendorf, Eisenstadt, St. Georgen, Purbach, Mörbisch, Rust, Breitenbrunn).

Ihre Blütezeit erlebte die Neustadt, als 1440 Herzog Friedrich V., der die Stadt zu seiner Hauptresidenz machte und eine rege Bautätigkeit entwickelte, zum römisch-deutschen König gewählt wurde. Während seiner Regierung erfolgte 1469 die Gründung des, allerdings kleinen, Bistums Wiener Neustadt und auch die von Friedrich geförderte jüdische Gemeinde erreichte vor allem in der Person des Rabbiners Israel Isserlein ihren kulturellen Höhepunkt. Die Bevölkerung der Stadt wird für diese Zeit auf 7.000 bis 8.000 Personen geschätzt. Nach der Verlagerung der Herrscherresidenz unter Maximilian I. (1493–1519) und Ferdinand I. (1521/22–1564) verlor die Neustadt circa die Hälfte ihrer Einwohnerschaft. Um 1600 verfügte sie nur noch über geschätzte 3.500 Bewohner. In den folgenden anderthalb Jahrhunderten wuchs die Bevölkerung bis Mitte des 18. Jahrhunderts auf ca. 4.500 Personen an. Mitverantwortlich dafür war die Ansiedlung der kaiserlichen Armaturwerkstätte und der dort beschäftigten niederländischen Meister und Gesellen sowie deren Familien im Jahr 1656. Nach der Gründung der Theresianischen Militärakademie 1752 könnte die gesamte Einwohnerschaft bis 1800 etwa 10.600 Personen erreicht haben (1806: 6.256 Zivilpersonen). Das bedeutendste Wachstum sollte die Stadt während der Industrialisierung im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert erzielen (1850: 12.900 Einwohner; 1910: 32.900). Wegen der ansässigen Rüstungsindustrie stiegen besonders während der Weltkriege (1. Weltkrieg: bis zu 70.000 Einwohner; 2. Weltkrieg ca. 46.000) die Einwohnerzahlen an. Gegenwärtig haben über 44.000 Personen ihren Hauptwohnsitz in der Stadt (Stand 2018).
 

Gewerbeentwicklung und Handel (Schwerpunkt 17. und 18. Jahrhundert)

Wiener Neustadt war und ist stark vom Gewerbe geprägt. Neben dem üblichen, in Zünften organisierten städtischen Handwerk bestand bereits seit 1498 eine anfänglich städtische Papiermühle. Hinzu kamen weitere Mühlen, Glockengießereien und Pulverstampfen. Die 1656 ins Leben gerufene „Niederländische Armatursmeisterschaft“ als kaiserliche Waffenschmiede setzte den Anfang einer langen Tradition Wiener Neustadts als – neben Steyr in Oberösterreich, Ferlach in Kärnten und Karlsbad in Böhmen – bedeutendes österreichisches Rüstungszentrum. Ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert wurde die Neustadt zu einer ausgesprochenen Industriestadt. Nur wenige Kilometer außerhalb der Stadt war bereits 1754 bei Lichtenwörth mit der sogenannten Nadelburg eine Metallwaren- und Nadelfabrik gegründet worden, die zwischen 1761 und 1769 kurzzeitig verstaatlicht war und unter der Aufsicht einer Hofkommission stand. Um 1780 folgten weitere Betriebe zur Fingerhut-, Nadel- und Hutnadelherstellung. Der sich ab den 1840er Jahren entwickelnde Maschinenbau führte dazu, dass Wiener Neustadt auch in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts zu einem Rüstungszentrum wurde, was seit August 1943 schwere Bombenangriffe mit entsprechenden Zerstörungen und Verlusten an Menschenleben zur Folge hatte. Ebenfalls in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurden die Zuckerraffinerie Trenter, die sich nach ihrem Verkauf an das Wiener Unternehmen Reyer & Schick zur größten Anlage dieser Art in der gesamten Monarchie entwickelte, eine Lederfabrik und eine Fabrik zur Herstellung von Steingut errichtet.

Bevor sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts vom metallverarbeitenden Gewerbe abgelöst wurde, war die Textilindustrie der wichtigste Industriezweig Wiener Neustadts. Manufakturen wie die Seidenfabrik Graf Fries & Co., die K. K. privilegierte niederländische Seidenfabrik oder die Tuchfabrik des Ignaz Krimig wurden teilweise in den von Joseph II. aufgelassenen Klöstern und Kirchen angesiedelt. Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist auch chemische Industrie in Wiener Neustadt ansässig.

Nach dem Erwerb des Marktrechts waren zwei Wochenmärkte gestattet. Im 14. Jahrhundert kamen zum Kornmarkt ein Fischmarkt, ein Frauenmarkt, auf dem Pelze, Bettwäsche und Leinengewänder aber auch Waffen gehandelt wurden, ein Lodenmarkt und ein Holzgerätemarkt hinzu. Seit 1425 verfügte die Stadt über das Recht, zweimal wöchentlich einen Vieh- und Rossmarkt abzuhalten. Jahrmärkte durften ab 1239 veranstaltet werden. Zukünftige Privilegien erweiterten Termine, Laufzeiten und Anzahl der Jahrmärkte. Ab 1453 konnten drei, ab 1561 vier Jahrmärkte veranstaltet werden. Für 1785 sind neben den Wochenmärkten am Mittwoch und Samstag drei Jahrmärkte sowie ein Viehmarkt überliefert. Bis 1884 wurden die Jahrmärkte abgeschafft, während die Zahl der Viehmärkte zunahm.

Auch in der Frühen Neuzeit dürfte der Weinhandel eine überragende Rolle gespielt haben. Hinzu kam der Eisenhandel. Wiener Neustadt war neben Wien eine der Legstädte für den Absatz des steirischen Eisens an ansässige Händler und – teilweise auch illegal – in Richtung Ungarn. Das in Vordernberg verhüttete Eisen des steirischen Erzberges wurde über Leoben zunächst auf die vier Hammerviertel der Steiermark verteilt, wo die Verarbeitung des Roheisens stattfand. Für die Belieferung des niederösterreichischen Landesviertels unter dem Wienerwald mit Stahl war das Hammerviertel Mürztal zuständig. Wegen seiner Funktion als Eisenniederlage war der Eisenhandel für Wiener Neustadt von erheblicher Bedeutung, auch wenn eine Monopolstellung nicht erreicht werden konnte.

Die Lage der Stadt an der Venedigerstraße, die für die auswärtigen Händler gesperrt war, begünstigte den Handel mit über die Lagunenstadt importierten Gütern aus dem Orient, wie die Geschäftsbücher der Firma Alexius Funck aus dem frühen 16. Jahrhundert belegen. Absatzmärkte der Wiener Neustädter dürften in erster Linie die Donaumärkte Wien, Krems und Linz gewesen sein. Dorthin sandten beispielsweise die beiden Partner Adrian Gruber und Martin Unruhe Mitte der 1650er Jahre Pfeffer, Krämereiwaren, Rindshäute, Kalbfelle, Honig, Zwetschken oder Wachs. Um den Handel zu regulieren und durch die Trennung von Händlergruppen („Handlungsseparation“) allen Kaufleuten ein Auskommen zu sichern, wurde 1687 folgende Warenaufteilung festgelegt: 1. Tuchhändler (weitere Waren: Häute und Honig; Zahl der Händler: 5), 2. Kurzwarenhändler (alle Waren, die nicht von den Tuch-, Spezerei- und Leinwandhändlern verkauft wurden: 7), 3. Spezereihändler (Gewürz, Zucker, welsche Früchte, Käse, Safran, ausländische Fische, Stockfisch, Hering, Juchten en gros: 2), 4. Eisenhändler (weitere Waren: Blei, Messing, Kupfer: 6), 5. Leinwandhändler (weitere Waren: Bettzeug und Zwirn: 8), 6. Buchbinder (weitere Waren: Papier und Karten: 2), 7. Wollhändler (1), 8. Krämer (alle übrigen Waren: 5). Für das Jahr 1714 sind für die Stadt schließlich sieben Eisenhändler, sechs Leinwandhändler, sieben Kurzwaren- und Seidenhändler, fünf Spezereihändler, drei Tuchhändler, drei Händler mit Steyrer und Nürnberger Waren, ein Spitzen- und Weißwarenhändler und fünf Kleinkrämer belegt. Eine geringere Rolle spielte der Handel mit Honig, Wachs, Wolle, Häuten und Zwetschken. Das angesprochene Bestreben, Konkurrenz möglichst auszuschalten, indem jedem Kaufmann lediglich ein bestimmtes Warensortiment für den Verkauf gestattet wurde, hatte zahlreiche Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Kaufmannsgruppen aber auch wegen der Tätigkeit von Hausierern wie schlesischen Bandelkramern, Tiroler Frauen, Savoyarden und anderen zur Folge.
 

Archivalien

Die Bestände des Wiener Neustädter Stadtarchivs enthalten die umfassendste Sammlung mittelalterlicher Urkunden (beginnend ab dem frühen 13. Jahrhundert) aller niederösterreichischen Stadtarchive. In den Stadt- und Ratsbüchern sind seit 1431 die Testamente der Bürgerinnen und Bürger verzeichnet. Die Bürgermeister-Gedenkbücher, die seit dem 16. Jahrhundert vorliegen, umfassen die Protokolle der Ratssitzungen. Zur Gewerbetätigkeit in der Stadt liegt eine eigene Sammlung an Gewerbeakten (Zunftakten) vor. Akten städtischer Provenienz sind seit dem 18. Jahrhundert überliefert.
 

Literatur

Fritz Bodo, Wiener Neustadt. Ein Überblick über die Bevölkerungsbewegung und Herkunft der Bevölkerung, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 32 (1955/56) 347–361.

Josef Ehmer, Vom „alten Handwerk“ zum Kleingewerbe. Sozialer und ökonomischer Strukturwandel der kleinen Warenproduktion in Wiener Neustadt, in: Sylvia Hahn–Karl Flanner (Hg.), „Die Wienerische Neustadt“. Handwerk, Handel und Militär in der Steinfeldstadt (Wien–Köln–Weimar 1994) 339–367.

Gertrud Gerhartl, Wiener Neustadt. Geschichte, Kunst, Kultur, Wirtschaft (Wien 1978).

Gertrud Gerhartl, Wiener Neustadt. Kommentar zur Siedlungsgeschichte, in: Österreichischer Städteatlas, 1. Lieferung (Wien 1982).

Gertrud Gerhartl, Wiener Neustadt. Stadt mit eigenem Statut, in: Friederike Goldmann (Red.), Die Städte Niederösterreichs (Österreichisches Städtebuch 4/3, Wien 1982) 257–294.

Adolf Höggerl, Wiener-Neustadt im Wandel der Zeit (1192–1918) (Wiener Neustadt 1936).

Martina König, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Nadelburg von ihren Anfängen bis heute (unter besonderer Berücksichtigung der Leitung durch die Familie Hainisch) (Dipl. Arbeit Wien 1989).

Erich Lindeck-Pozza, Wiener Neustadts Streben nach der Vorherrschaft im Eisenhandel des südöstlichen Niederösterreich (Bis zur Eisenordnung Maximilians II. 1574), in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich 31 (1953/54) 113–132.

Eveline Lindner, Wiener Neustädter Bürgermeister im 17. Jahrhundert (Phil. Diss. Wien 1974).

Herbert Matis, Die industriellen Anfänge im Viertel unter dem Wiener Wald, in: Unsere Heimat 37 (1966) 248–264.

Josef Mayer, Wiener Neustadt als Grenzfestung gegen Türken und Ungarn (Geschichte von Wiener Neustadt II: Wiener Neustadt in der Neuzeit 1, Wiener Neustadt 1927).

Josef Mayer, Die Zeit des Absolutismus (Geschichte von Wiener Neustadt II: Wiener Neustadt in der Neuzeit 2, Wiener Neustadt 1928).

Herta Müller, Die k. k. Nadelburger Fabrik zu Lichtenwörth. Ihre Geschichte von 1751–1815 (Diss. Wien 1941).

Gustav Otruba, Die Anfänge der Entwicklung der Industrie in Niederösterreich, in: Unsere Heimat 24 (1953) 75–85.

Othmar Pickl, Das älteste Geschäftsbuch Österreichs. Die Gewölberegister der Wiener Neustädter Firma Alexius Funck (1516–ca. 1538) und verwandtes Material zur Geschichte des steirischen Handels im 15./16. Jahrhundert (Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 23, Graz 1966).

Othmar Pickl, Der Eisenhandel und seine Wege, in: Paul W. Roth (Hg.), Erz und Eisen in der Grünen Mark. Beiträge zum steirischen Eisenwesen (Graz 1984) 345–365.

Fritz Posch, Die niederländische Armaturmeisterschaft in Wr. Neustadt, in: Unsere Heimat 21 (1950) 46–55.

Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Österreichische Geschichte, Wien 1995, 22005).

Johanna Schmidt, Die Anfänge der Industriestadt Wiener Neustadt zur Zeit Josephs II. (Diss. Wien 1979).

E. Söckelmayer, Die Wiener Neustädter Zuckerraffinerie, in: Unser Neustadt 1. Jg., Folge 2 (April 1957) 5–6.

Annemarie Steidl, Von Bürgern und Handwerkern. Wiener Neustadt im 17. Jahrhundert, in: Sylvia Hahn–Karl Flanner (Hg.), „Die Wienerische Neustadt“. Handwerk, Handel und Militär in der Steinfeldstadt (Wien–Köln–Weimar 1994) 369–396.